1910 bis 1930: Der Raubzug gegen das Gemeindegut beginnt

Gemeindegründe im Ausmaß

von

rund 1.000 km²

wurden zwischen 1910–1930 mit Gemeinderatsbeschlüssen gleichheitswidrig in das Privateigentum einiger weniger Nutzungsberechtigter verschoben.

Dieses an Privatpersonen verschenkte Gemeindegut kann nicht mehr restituiert werden.

Der „Erste allgemeine Tiroler Bauerntag“

Die Novellierung der Gemeindeordnung 1910 – gleichheitswidrige Schenkungen an Privilegierte wurden möglich

Mit Gesetz vom 30.06.1910 wurde die Tiroler Gemeindeordnung vom 09.01.1866 – der oben angeführten Forderung des Bauernbundes entsprechend – in einem wesentlichen Punkt abgeändert, indem nämlich die Gemeinden ermächtigt wurden, die ihnen gehörigen Waldflächen den – im Vergleich zur Gesamtanzahl der Gemeindebürger – wenigen Nutzungsberechtigten durch bloßen Gemeinderatsbeschluss in deren Eigentum zu übertragen. Diese Rechtseinräumung ist aus heutiger Sicht zweifellos gleichheits- und damit verfassungswidrig.

Ein solcher Gemeinderatsbeschluss musste, um Rechtswirksamkeit zu erlangen, lediglich vom Landesausschuss (der heutigen Landesregierung) bestätigt werden; eine Befassung des Landtags als gesetzgebender Körperschaft war hingegen nicht vorgesehen. Im Hinblick auf die bäuerlich geprägte politische Zusammensetzung der Gemeinderäte und der damaligen Landesregierung sind diese Eigentumsübertragungen (Enteignungen der Gemeinden) unter der Regie des Bauernbundes zügig vollzogen wurden.

Dieser gegen das Vermögen aller übrigen Gemeindebürger gerichtete Raubzug wurde bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts fortgesetzt und kam infolge der instabilen politischen Lage zum Stillstand. Das Flächenausmaß dieser entschädigungslosen Enteignungen der Gemeinden wird von unabhängigen Fachleuten auf mindestens 1.000 km² (= 1.000.000.000 m²) geschätzt.

Profiteure der Verschiebung des Eigentumsrechtes am Gemeindegut war eine Minderheit von Gemeindebürgern

Auf diese Weise wurden in den Jahren 1910 bis 1930 viele bis dahin im Eigentum der Gemeinden gestandenen Liegenschaften – es handelte sich vornehmlich um sogenannte Teilwälder – in das Privateigentum weniger Nutzungsberechtigter verschoben. Viele dieser Flächen erfuhren später eine Widmung als Bau- und/oder Gewerbegrund. So wurden viele Tiroler Gemeinden (darunter nahezu alle Gemeinden des Tiroler Unterlandes) ihrer zum Gemeindegut gehörigen Wälder und Almen beraubt.

Nur in wenigen Gemeinden (z.B. Kufstein und Jenbach), in denen die Gemeinderäte nicht von Landwirten dominiert waren, fand dieser Raubzug nicht statt. Diese Gemeinden sind bis heute Eigentümer ihrer Wälder geblieben.

Dass weder Gerichtskosten noch Grunderwerbsteuer noch Kosten für diverse Vermessungsarbeiten für die „neuen Eigentümer“ (Bauern) angefallen sind, fügt sich  trefflich in das Gesamtbild ein.

Dass auch heute „agrarische Operationen“ kostenfrei vom Land durchgeführt werden, sei an dieser Stelle angemerkt.

Eine Rückführung des damals verschenkten Gemeindeguts ist nicht mehr möglich:

Dieses Gesetz vom 30.06.1910 ist aus heutiger Sicht zweifellos gleichheitswidrig, weil dadurch lediglich eine Minderheit von Gemeindebürgern bevorzugt wurde. Es wurde jedoch niemals beim Verfassungsgerichtshof angefochten. Damit ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die auf Grundlage dieser Novellierung der TGO vorgenommenen Übertragungen von Gemeindegrund nicht mehr anfechtbar sind.

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