NS-Zeit Osttirol 1938 – 1945

Nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazi-Deutschland wurden viele Osttiroler Gemeinden gesetzwidrig und ohne jegliche Entschädigung ihrer Liegenschaften beraubt.

Die NS-Enteignungen waren Handlungsanleitung für den späteren Raubzug gegen das Gemeindegut in ganz Tirol.

Eine Rückgabe der zugunsten von Agrargemeinschaften enteigneten Gründe an die Gemeinden steht bis heute aus.

Generalstabsmäßige Enteignung von Gemeinden

Seit Mitte des Jahres 2012 ist aufgrund umfassender Recherchen des Mieminger Gemeinderats Ulrich Stern bekannt, dass die Idee für die entschädigungslosen Enteignungen der Nordtiroler Gemeinden zugunsten der Agrar­gemeinschaften nicht im Innsbrucker Landhaus geboren wurde, sondern bereits Jahre vorher während der NS-Zeit im „Gau Kärnten“.

Diese Vorgangsweise bildete die Handlungsanleitung für den in der II. Republik im gesamten Bundesland Tirol großflächig und generalstabsmäßig durchgeführten Raubzug gegen das Gemeindegut.

Angliederung Osttirols an den „Gau Kärnten“

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich erfolgte die Angliederung des Bezirks Osttirol an den „Gau Kärnten“. Die nationalsozialistische Administration reduzierte in der Folge die Anzahl der Osttiroler Gemeinden durch Zusammenlegung von 40 auf 15.  Schon kurze Zeit später begannen in offensichtlich politisch abgestimmten Aktionen linientreue, „national zuverlässige“ Gemeindefunktionäre, die Verschiebung des Osttiroler Gemeinden zustehenden Eigentums am Gemeindegut auf zu diesem Zweck neu gegründete Agrargemeinschaften zu betreiben.

  • Unter Führung von Dr. Wolfram Haller, dem Leiter der dem „Gau Kärnten“ angeschlossenen Agrarbezirksbehörde Lienz, wurden in weiterer Folge die Enteignungen im Rahmen sogenannter „Regulierungsverfahren“ Gemeinde für Gemeinde durchgezogen. Grundstücke, die bis dahin im grundbücherlichen Eigentum von Fraktionen, Ortschaften, Nachbarschaften oder Gemeinden eingetragen waren, wurden entschädigungslos in das Eigentum von neu gegründeten Agrargemeinschaften übertragen. Diese Behördenakte entbehrten schon im Ansatz jeglicher gesetzlichen Grundlage (vgl dazu Schreiben Dr. Haller an den Reichsminister in Berlin vom 13.10.1942).

Als Beispiel besonderer Behördenwillkür stellt sich eine im Jahr 1941 durchgezogene „Blitzaktion“ dar, in deren Zuge innerhalb eines Zeitraums von 14 Tagen etliche Osttiroler Gemeinden  handstreichartig ihres Grundeigentums beraubt wurden (vgl. 1941 Hallerscher Reiseplan vom 30.9.1941).

  • Die NS-Agrarbehörde führte unter tatkräftiger Mitwirkung des (etliche Personalkontinuitäten zum Bauernbund aufweisenden) „NS-Reichsnährstands“ Regie. Die von den nationalsozialistischen Machthabern eingesetzten Bürgermeister stimmten als Vertreter der Gemeinden den Eigentumsübertragungen zu (vgl dazu Schreiben Dr. Haller an die Oberste Umlegungsbehörde vom 31.12.1941). Dass sich die nahezu ausschließlich dem Bauernstand angehörigen Nutzugsberechtigten am Gemeindegut diesem Gesetzesbruch als Profiteure der sie begünstigenden Enteignungen nicht entgegenstellten, verwundert indes nicht.

Das Gesamtausmaß dieser gesetzlosen Eigentumsübertragungen betraf eine Grundstücksfläche von ca. 250 km² (= 250 Millionen Quadratmeter).

Abschaffung der „Fraktionen“ durch die Deutsche Gemeindeordnung

Während der Zeit der NS-Herrschaft war der II. Teil des Flurverfassungs-Landesgesetzes bezüglich der Teilungen und Regulierungen in Kraft. Allerdings erfolgte eine bedeutende Änderung der Gemeindeordnung insoweit, als durch die am 1.10.1938 für das „Land Österreich“ in Geltung gesetzte Deutsche Gemeindeordnung (DGO) „Ortschaften, Fraktionen und ähnliche innerhalb einer Gemeinde beste­hende Verbände, Körperschaften und Einrichtungen gemeinderechtlicher Art“ aufgelöst wurden und als ihr Rechtsnachfolger die Gemeinde bestimmt wurde (vgl. VfGH in VfSlg 4229/1962 und 9336/1982 sowie VwGH vom 30.06.2011, GZ 2010/07/0074, und vom 24.05.2012, GZ 2011/07/0117).

  • Das Fraktionsgut ging damit im Gemeindegut auf. Dies hatte zur Folge, dass die auf dem Fraktionsgut befindlichen Agrargemeinschaften zwar das Nutzungsrecht für den Haus- und Gutsbedarf behielten; darüber hinausgehende Ertragsüberschüsse hatten jedoch laut DGO – im Übrigen insoweit analog zu den Bestimmungen der Tiroler Gemeindeordnung (TGO) – bei der politischen Gemeinde zu verbleiben (vgl. Siegl- Die Entstehung der Agrargemeinschaften in Tirol).
  • Diese Regelung wurde auch nach der mit StGBl. 68/1945 mit Wirkung vom 15.07.1945 erfolgten Außerkraftsetzung der wesentlichen Bestimmungen der deutschen Gemeindevorschriften nicht rückgängig gemacht. Demgemäß sind auch unter diesem Aspekt die politischen Gemeinden seit 1838 auch Eigentümer des Fraktionsgutes (vgl VfGH vom 01.03.1982, VfSlg 9336/1982 und VwGH vom 11.11.1954, VwSlg 3560 A).
  • Zusammenfassend zeigt sich also, dass die während der NS-Zeit in Osttirol erfolgten Übertragungen des Eigentums am Gemeindegut an Agrargemeinschaften sowohl mit der bis zum „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich gültigen Rechtslage als auch mit der vom NS-Regime eingeführten Deutschen Gemeindeordnung unvereinbar waren.

 

Die NS-Gemeindeenteignungen in Osttirol werden in der II. Republik durch die Tiroler Agrarpolitik reingewaschen

Trotz der offensichtlich willkürlichen und gesetzlosen Amtsführung seitens der Beamten der Außenstelle Lienz der NS-Agrarbehörde für den Gau Kärnten war die Tiroler Agrarbehörde bestrebt, deren qualifiziert rechtswidrige „Regulierungsbescheide“ ab dem Jahr 2008 in Schnellverfahren mittels sogenannter „Feststellungsbescheide“ (vgl. dazu Menüpunkt „Feststellungsverfahren“) zu bestätigen und damit entgegen der Fakten- und Rechtslage rechtlich reinzuwaschen: ein Skandal ohnegleichen, der weder die Tiroler Landesregierung zu einem Einschreiten veranlasste noch zu dienst- und/oder strafrechtlichen Überprüfungen führte!

 

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