Feststellungsverfahren - Der finale Angriff auf das Gemeindegut

Ein Skandal, dass der Öffentlichkeit ungeachtet eines wohl offenkundigen rechtlichen Interesses Akteneinsicht verwehrt bleibt!

Feststellungsbescheide können Eigentumsverhältnisse nicht ändern!

Ein agrarbehördlicher Taschenspielertrick

Die im Folgenden näher beschriebenen Feststellungsverfahren, die von der Agrarbehörde in jüngerer Zeit durchgeführt worden sind, heben sich ob des kaltschnäuzigen und rechtswidrigen Handelns der Entscheidungsträger von den früheren Raubzügen noch einmal deutlich ab.

  • Durch das Erkenntnis des VfGH vom 11.07.2008, VfSlg 18.446 („Mieders I“), welches sich insbesondere auf das Gemeindegut bezieht, war der Tiroler Agrarbehörde die bis dahin gepflogenen Praxis der gesetzlosen Übertragung des Eigentums von Gemeindegrundstücken auf Agrargemeinschaften endgültig versperrt.
  • In Reaktion darauf versuchte in den Folgejahren der Tiroler Bauernbund  Hand in Hand mit den politisch verantwortlichen Regierungsmitgliedern der ÖVP sowie mit Hilfe der schon seit jeher als willfähriges Werkzeug missbrauchten Agrarbehörde, für ihre Klientel „zu retten, was noch zu retten ist“: Vielen Gemeinden wurde im Wege sogenannter Feststellungsverfahren fakten- und rechtswidrig das Eigentum am Gemeindegut abgesprochen..
  • Derartigen Feststellungsverfahren kommt lediglich deklarative Wirkung zu (siehe dazu die Ausführungen im folgenden Punkt 1.). Im Übrigen wurden sie von der Agrarbehörde in verfahrensrechtlich bedenklicher, ja skandalöser Weise durchgeführt und halten im Lichte der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch einer materiellrechtlichen Prüfung nicht stand.

Weiterführende Info:

I. Was sind Feststellungsverfahren?

1. Gesetzliche Grundlagen:

Gemäß § 38 Abs 1 TFLG 1996 (Volltext § 38 TFLG 1996) hat die Agrarbehörde festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Liegenschaften sind und wem sie gehören, insbesondere, ob das Eigentum daran mehreren Parteien als Miteigentümern oder einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft zusteht.

Die Definition des Begriffs „agrargemeinschaftliche Grundstücke“ findet sich in § 33 TFLG 1996 idgF ( Volltext § 33 TFLG 1996), welche Bestimmung nicht auf die Eigentumsverhältnisse Bezug nimmt, sondern zentral auf die gemeinschaftliche Nutzung von Grundstücken abstellt.

Gemäß § 33 Abs 6 TFLG 1996 idgF hat die Frage, ob ein Grundstück ein agrargemeinschaftliches Grundstück (Anm.: also ein gemeinschaftlich genutztes Grundstück) ist, die Agrarbehörde im Zweifel zu entscheiden; die gemeinderechtlichen Bestimmungen bleiben unberührt.

2. Feststellungsbescheiden kommt keine konstitutive (rechtserzeugende), sondern lediglich deklarative (beschreibende) Wirkung zu!

Die Anwendung der Bestimmungen des TFLG über die „Gemeindegutsagrargemeinschaft“ setzt die bescheidförmige Feststellung des Vorliegens atypischen Gemeindegutes nicht voraus, sieht doch das Gesetz eine bescheidförmige Feststellung, ob ein Grundstück ein agrargemeinschaftliches Grundstück – etwa eines gemäß § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 idF LGBl. 7/2010 – ist, nur für den Zweifelsfall vor (vgl. § 33 Abs. 6 Satz 1 TFLG 1996).

Daraus folgt, dass die Anwendbarkeit der Regelungen über die Gemeindegutsagrargemeinschaften allein vom Vorliegen der im Gesetz umschriebenen Voraussetzungen abhängt. Einem Feststellungsbescheid kommt daher nicht konstitutive, sondern lediglich deklarative Wirkung zu ( VfGH vom 28.02.2011, B 1645/10-9).

Das wusste selbstverständlich auch die Tiroler Landesregierung. Im Verfahren G 35/81, in welchem der Verfassungsgerichtshof schon damals Bedenken gegen die Zugehörigkeit des Gemeindeguts zu den agrargemeinschaftlichen Grundstücken hegte, hatte sie selbst vorgebracht, „dass ….. [das] Gemeindegut den Bestimmungen über die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unterliege, ein Feststellungsbescheid aber keinesfalls die bestehenden Eigentums- und Nutzungsverhältnisse ändere …“. (wörtliches Zitat aus VfSlg 9336)

Daher sind Feststellungsbescheide nicht geeignet, die bestehenden Eigentums- und Nutzungsverhältnisse zu ändern (vgl VfGH vom 01.03.1982, VfSlg 9336). Sie geben lediglich die (derzeitige) Auffassung der Agrarbehörde in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht wieder.

 

Weiterführende Info:

Morscher, Tiroler Praxis Gemeindegutsgrargemeinschaften FS Ebert 2013, S 113 f
Kienberger, Das Gemeindegut als Verfassungsproblem [LexisNexis 2018], S 32/33

3. Die Berücksichtigung des historischen Grundbuchstands ist unumgänglich erforderlich

Insoweit in Feststellungsbescheiden als Begründung für die Eigentümerschaft einer Agrargemeinschaft behauptet wird, dass „vormals kein Gemeindeeigentum“ bestanden habe, also die jeweilige Gemeinde niemals grundbücherliche Eigentümerin der betroffenen Liegenschaften gewesen sei, ist in Erinnerung zu rufen, dass nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Verfassungsgerichtshofs als auch des Verwaltungsgerichtshofs für die Beurteilung der Gemeindegutseigenschaft von Grundstücken allein der Grundbuchstand zum Zeitpunkt der Regulierung maßgeblich ist (vgl Kienberger in „Das Gemeindegut als Verfassungsproblem“ S 29; VfGH in VfSlg 18.933/2009 und 19.262/2010).

Siehe dazu auch:

→  Die Rechtsprechung zur Richtigkeit der Grundbuchseintragungen im historischen Grundbuch

4. Zwingende rechtliche Vorgaben für das Vorliegen einer Hauptteilung

Etliche Feststellungsbescheide führen als Grund für die mangelnde Existenz von Gemeindegut das Vorliegen einer Hauptteilung ins Treffen. Diese Begründungen negieren jeweils die im TFLG für Hauptteilungen festgelegten und in gefestigter höchstgerichtlicher Rechtsprechung geforderten formal- und materiellrechtlichen Vorgaben.

Weiterführende Info:

II. Die Landtagsanfragebeantwortung Nr. 352/2019 macht überflüssige und skandalöse Behördenverfahren der Agrarbehörde transparent:

  1. Der Inhalt der Landtags-Anfragebeantwortung

Die von der Agrarbehörde aufbereitete Beantwortung der Landtagsanfrage vom 01.08.2019, Nr. 352/19, durch Landesrat LH-Stv Josef Geisler enthält die zentrale Mitteilung, die Tiroler Agrarbehörde habe „nach Durchführung entsprechender Ermittlungsverfahren“ insgesamt 385 Feststellungsbescheide erlassen.

  • Davon seien 234 (Anm.: tatsächlich angeführt sind nur 233) Agrargemeinschaften bescheidmäßig als „Gemeindegutsagrargemeinschaften“ festgestellt worden.
  • 22 weitere Agrargemeinschaften seien von der Agrarbehörde (lediglich) als Gemeindegutsagrargemeinschaften „kategorisiert“ worden. (Um welche Agrargemeinschaften es sich dabei handelt, geht aus der Anfragebeantwortung freilich nicht hervor).
  • In Bezug auf 150 Agrargemeinschaften enthalte der Bescheid der Agrarbehörde die Feststellung, „dass es sich um kein Gemeindegut iSd § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996 handelt“, wobei in der Begründungsspalte der Anfragebeantwortung angemerkt wurde, dass
    • bei 88 Agrargemeinschaften „vormals kein Gemeindeeigentum“ bestanden habe;
    • bei weiteren 49 Agrargemeinschaften eine „Hauptteilung“ vorliege;
    • bei 7 Agrargemeinschaften eine „vermögensrechtliche Auseinandersetzung mit der Wirkung einer Hauptteilung“ stattgefunden habe;
    • bei 4 Agrargemeinschaften „typisches Gemeindegut“ bestehe.
    • Bei den verbleibenden 2 Agrargemeinschaften sind andere (Anm.: hier nicht weiter zu behandelnde) Gründe für das mangelnde Vorliegen von Gemeindegut angeführt.

2. Die Feststellungsverfahren sind mit groben Verfahrens- und Rechtsmängeln belastet.

Den offenbar rechts- und faktenwidrigen Feststellungsbescheiden kann nur die Qualität eines juristischen Taschenspielertricks beigemessen werden!

Die Feststellungsverfahren wurden als Institut strategischen Machtmissbrauchs verwendet.

a) Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzung eines „begründeten Zweifels“

333 der (laut Anfragebeantwortung insgesamt 385) von der Agrarbehörde durchgeführten Feststellungsverfahren erweisen sich schon mangels Vorliegens eines „Zweifels“, ob es sich im Sinne des § 33 Abs 6 TFLG 1996 idgF um ein agrargemeinschaftliches Grundstück handelt, als überflüssig und damit als rechtswidrig.

Weiterführende Info:

Fehlen eines „begründeten Zweifels“ bei 333 agrarbehördlichen Feststellungsverfahren

b) Das historische Grundbuch wurde ignoriert

  • Nach ständiger und gefestigter Rechtsprechung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofs ist für die Gemeindegutseigenschaft von Grundstücken allein der Grundbuchsstand zum Zeitpunkt der Regulierung maßgeblich.
  • Bezüglich jener 57 (von insgesamt 88) Agrargemeinschaften, bei denen festgestellt wurde, dass die betroffenen Liegenschaften jeweils in deren Eigentum stünden, weil „vormals kein Gemeindeeigentum“ bestanden habe, ist schlicht festzuhalten, dass vor der gesetzlosen und verfassungswidrigen Eigentumsübertragung an eine Agrargemeinschaft die betroffenen Grundstücke im Eigentum einer Gemeinde oder eines dieser gleichzusetzenden Gemeindeteils (Fraktion, Nachbaschaft u. a.) standen.

Als besonders kurioser Beleg für die Fehlerhaftigkeit und Willkür der Agrarbehörde ist die Agrargemeinschaft Gedingstatt herauszugreifen, deren Gemeindegutseigenschaft laut Anfragebeantwortung von der Agrarbehörde bescheidmäßig mit der Begründung „vormals kein Gemeindeeigentum“ verneint wurde, obwohl die Gemeinden Zams, Schönwies und Fraktion Angedair (Gemeinde Landeck) seit Grundbuchsanlegung und auch heute noch als Eigentümerinnen der bezogenen Grundstücke im Grundbuch eingetragenen sind!

Ausführlich dazu:

Tabelle zur Richtigstellung der Landtags-Anfragenbeantwortung – „vormals kein Gemeindeeigentum“

  • Insoweit in den bezüglichen Bescheiden davon ausgegangen wird, dass das für Fraktionen, Nachbarschaften oder Interessentschaften etc. eingetragene Eigentumsrecht an Liegenschaften nicht den Gemeinden zuzuordnen sei, missachtet die Agrarbehörde geradezu vorsätzlich das längst bekannte und vielfach kommentierte Erkenntnis des VwGH vom 11.11.1954, VwSlg 3560. Spätestens mit diesem wurde klargestellt, dass der Begriff “Gemeindegut“ auch das ehemalige Fraktionsgut (Fraktionen, Nachbarschaften, Interessentschaften) umfasst, und zwar auch dann, wenn die grundbücherliche Durchführung des Eigentumsübergangs noch ausstehen sollte (vgl auch Kienberger, Das Gemeindegut als Verfassungsproblem [LexisNexis 2018], S 17).

    Siehe dazu die auf die jeweilige Gemeinde bezogenen Grundbuchseintragungen im Menü:

→ siehe dazu: Menüpunkt Gemeindedaten

c) Die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Hauptteilung wurde ignoriert

In 50 (von 52) Fällen, in denen laut Anfragebeantwortung eine „Hauptteilung“ oder eine „vermögensrechtliche Auseinandersetzung mit der Wirkung einer Hauptteilung“ als Grund für das mangelnde Vorliegen von Gemeindegut („kein Gemeindegut“) angeführt wurde, ist festzuhalten, dass die im TFLG normierten und in höchstgerichtlicher Rechtsprechung geforderten formal- und materiellrechtlichen Vorgaben für das Vorliegen einer Hauptteilung nicht – auch nicht nur ansatzweise – beachtet wurden.

Lediglich die Titulierung eines behördlichen Vorgangs als „Hauptteilung“ oder „Hauptteilungsplan“, ohne dass dabei die in §§ 42 bis 48 TFLG normierten und in höchstgerichtlicher Rechtsprechung geforderten formal- und materiellrechtlichen Vorgaben eingehalten wurden, vermag keine rechtsgültige Eigentumsübertragung durch Hauptteilung zu begründen.

Weiterführende Info:

Tabelle zur Richtigstellung der Landtags-Anfragebeantwortung – Hauptteilung
Rechtsprechung des VwGH zur Hauptteilung 

Dazu folgende Beispiele:

  • Die Gemeinden Matrei i.O. und Windisch-Matrei wurden im Jahr 1943 unter Führung von Dr. Wolfram Haller, dem berüchtigten Leiter der dem „Gau Kärnten“ angeschlossenen Agrarbezirksbehörde Lienz, ihres gesamten Gemeindeguts beraubt und dieses ersatzlos auf 23 Agrargemeinschaften übertragen. Dass dabei die gesetzlich festgelegten Hauptteilungsvoraussetzungen hemmungslos missachtet wurden, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. Den Gemeinden verblieb nämlich kein Quadratmeter Gemeindegut!!
  • Die Osttiroler Gemeinde Kals wurde im Jahre 1970 laut Hauptteilungsplan beinahe ihres gesamten Grundeigentums dadurch beraubt, indem dieses auf 13 Agrargemeinschaften entschädigungslos aufgeteilt wurde; der Gemeinde verblieb lediglich teilweise ein geringes Anteilsrecht bei den Agrargemeinschaften, welcher Umstand schon für sich allein das Vorliegen einer Hauptteilung ausschließt.
  • Im angeblichen Hauptteilungsverfahren betreffend die Gemeinde Zams wurden gesetzwidrig große Flächen der zum Gemeindevermögen gehörigen (somit nicht mit Nutzungsrechten belasteten) Liegenschaften einbezogen. Ohne Vornahme einer Bewertung der in das Hauptteilungsverfahren einbezogenen Grundstücke erfolgte die Übertragung des Großteils des Gemeindeguts und des Gemeindevermögens (!) in das Eigentum der Agrargemeinschaft Zams, dies ohne auch nur einigermaßen adäquater Abfindung der Gemeinde mit unbelasteten Grundstücken.

III. Feststellungsverfahren - ein übler juristischer Taschenspielertrick als Instrument strategischen Machtmissbrauchs

Zusammenfassend gilt es festzuhalten:

a) In kürzester Zeit wurden von der Agrarbehörde grob faktenwidrig und höchstgerichtliche Erkenntnisse ignorierend in zumindest 107 Fällen Feststellungsbescheide durchgepeitscht. Damit ist der Versuch der Agrarbehörde, systematisch Gemeindegut zu vernichten, offensichtlich.

b) Alle 107 Agrargemeinschaften, die in den in der Landtags-Anfragebeantwortung Nr. 352/ 2019 bezeichneten Feststellungsbescheiden mit dem Vermerk „kein Gemeindegut“ klassifiziert wurden, stehen im grundbücherlichen Eigentum von Agrargemeinschaften. Sie standen – wie sich aus dem historischen Grundbuch ergibt – vormals im Eigentum einer Gemeinde, das im Wege gesetzloser und verfassungswidriger „Regulierungsverfahren“ an Agrargemeinschaften übertragen wurde. Dennoch wurde die grundbücherlich Anmerkung „Gemeindegutsagrargemeinschaft“ iSd § 38 Abs 2 TFLG 1996 idgF – weil von der Agrarbehörde nicht veranlasst – unterlassen.

c) Durch die Feststellungsverfahren erfolgte keineswegs die Klärung der – gar nicht strittigen oder bloß zweifelhaften – Frage, ob die betroffenen Liegenschaften agrargemeinschaftliche Grundstücke sind (§ 33 Abs 6 TFLG). Vielmehr kam es der Agrarbehörde ausschließlich darauf an, eine materielle Veränderung der Rechtsverhältnisse herbeizuführen. Damit sollte offenbar das bei gegebener Sach- und Rechtslage aufrecht bestehende Gemeindegut vernichtet und damit die alleinige Substanzteilhabe der Gemeinde ausgelöscht werden.

d) Nach ihrer rechtlichen Natur können Feststellungsbescheide nicht eine materielle Änderung der Eigentumsverhältnisse herbeiführen. Sie wurden rechtsmissbräuchlich und systematisch als „Verfahren zur Änderung der Substanzteilhabe“ eingesetzt, konnten jedoch als solche das Gemeindegut nicht zum Untergehen bringen, mag dies auch offenbar von den die Bescheide erlassenden Behördenvertretern bezweckt gewesen sein.

Denn Feststellungsbescheiden kommt keine konstitutive (=rechtsbegründende/rechtserzeugende), sondern lediglich deklarative – also bloß beschreibende, die Auffassung der bescheiderlassenden Behörde wiedergebende – Wirkung zu. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Instanz diese Bescheide rechtskräftig geworden sind: Sie waren nicht geeignet, das Gemeindegut – also das materielle Eigentumsrecht der Gemeinde – zu vernichten.

Ausführlich dazu:

Morscher, Gemeindegutsgrargemeinschaften FS Ebert 2013, S 113 f

  • Dass im Wege dieser Feststellungsverfahren auch die vom Kärtner Agrarbehördenleiter Dr. Haller nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland in den Jahren 1939 bis 1945 in Osttirol mit offenbar gesetzlos durchgepeitschten Übertragungen von Gemeindegut auf neu eingerichtete Agrargemeinschaften ungeprüft im Sinne einer „gesetzlichen Sanierung“ reingewaschen werden sollten, ist in besonderer Weise als skandalöser, soweit noch nicht verjährt wohl auch als strafrechtlich relevanter Aspekt behördlichen Handelns anzusehen.

  • In diesem Sinn argumentierte bereits 2010 der Präsident des Tiroler Gemeindeverbands Mag. Ernst Schöpf zutreffend wie folgt:

„ … So wird von der Agrarbehörde (den Agrargemeinschaften und Gemeinden gleichermaßen) nach wie vor empfohlen, Feststellungsanträge zum Bestehen einer Gemeindegutsagrargemeinschaft auch dann zu stellen, wenn klar ist, dass die Agrargemeinschaft aus Gemeindegut hervorgegangen ist. Dabei sagt der Verfassungsgerichtshof unmissverständlich: Wenn etwas als Gemeindegut reguliert worden ist, dann ist eine Agrargemeinschaft aus Gemeindegut hervorgegangen. Hier besteht Rechtskraft und ob dies der Fall ist, ist eine reine Tatsachenfrage und einem Feststellungsbescheid gar nicht mehr zugänglich. Mit solchen rechtlich verfehlten Empfehlungen der Behörde werden unnötige und langwierige Verfahren ausgelöst. Das ist auch dann der Fall, wenn Gemeinden durch aufwändige Recherchen in Archiven den Nachweis liefern sollen, dass ehemaliges Fraktionsgut nunmehr Gemeindegut ist und somit der Grundbuchsstand richtig ist. Alles schon längst geklärt, lauter leere Kilometer. Als Optimist will ich annehmen, es steckt nicht Absicht dahinter.“ ( Tiroler Gemeindezeitung Dezember 2010)

IV. Agrarpolitik und Agrarbehörde tragen gleichermaßen Verantwortung für die Herbeiführung des weiterhin bestehenden verfassungswidrigen Rechtszustands

Festzuhalten ist, dass sich die hier angeführten Feststellungsbescheide ob des kaltschnäuzigen und oft wohl auch bewusst rechtswidrigen Handelns der politischen und behördlichen Entscheidungsträger von den früheren Raubzügen noch einmal deutlich abheben:

  • Die in der Anfragebeantwortung behauptete „Durchführung entsprechender Ermittlungsverfahren“ ist offenbar nicht erfolgt. Vielmehr wurde die ohne weiteres mögliche Erhebung des historischen Grundbuchsstands von der Agrarbehörde grob fahrlässig (bewusste Pflichtwidrigkeit soll hier nicht unterstellt werden) unterlassen. Wie anders hätte denn die Behörde zu der ihre Bescheide jeweils begründenden Feststellung, wonach „vormals kein Gemeindeeigentum“ vorgelegen habe, gelangen können!
  • Die Tiroler Agrarbehörde ist – so wie schon in der Vergangenheit – auch in den hier aufgezeigten Fällen keineswegs so vorgegangen, wie es von einer neutralen und um Gesetzmäßigkeit bemühten Behörde hätte erwartet werden können. Sie hat rechts- und pflichtwidrig gehandelt und der Allgemeinheit dadurch einen enormen Schaden zugefügt. Die Gesamtfläche der von derartigen unrichtigen Feststellungsbescheiden betroffenen 107 Agrargemeinschaften beläuft sich auf mehrere hundert Quadratkilometer – ein gigantisches Vermögen!
  • Der Rechtsstaat sollte eigentlich schon lange auch in Tirol angekommen sein!  Die einschlägigen höchstgerichtlichen Erkenntnisse waren selbstverständlich allen Juristen der Agrarbehörde bekannt. Trotzdem sind diese Bescheide, die Faktizität und Gesetz diametral widerstreiten, ergangen!
  • Der Eintritt der Rechtskraft behördlicher Entscheidungen, die in Missachtung gesetzlicher Bestimmungen und unter Inkaufnahme damit verbundener Vermögensschäden der betroffenen Gemeinden erlassen wurden, hebt die strafrechtliche Verantwortung der Entscheidungsträger keineswegs auf. Eine strafrechtliche Aufarbeitung dieser Vorgänge hat bislang nicht stattgefunden.

    Der Grund hierfür mag in fehlendem Wissen der Anklagebehörde über diese Vorgänge und die Größenordnung der dadurch bewirkten Eigentumseingriffe, vielleicht manchmal auch in der Negierung von Offensichtlichem gelegen sein. Dass auch dadurch das Vertrauen in den Rechtsstaat massiv erschüttert wird, ist an dieser Stelle kritisch und mit Bedauern festzuhalten.
  • Anzumerken bleibt, dass die Bürgermeister in diesen Verfahren die Rechte und Interessen ihrer Gemeinden nicht oder mit nur untauglichen Mitteln vertreten haben, indem sie die Feststellungsbescheide der Agrarbehörde unbeeinsprucht ließen sowie für die Gemeinde negative Berufungsentscheidungen des Landesagrarsenates nicht bekämpften oder den weiteren Rechtsweg lediglich unter Beiziehung von mit Agrarrechtssachen wenig vertrauten Rechtsvertretern beschritten. Diesem Versagen mögen unterschiedliche Gründe einzeln oder kumulativ zugrunde liegen, so etwa
    • persönliche Befangenheit der Gemeindevertreter (Mitgliedschaft bei der Agrargemeinschaft),
    • gemeindepolitisches Kalkül (Sicherung der Wiederwahl und der weiteren politischen Karriere) oder
    • landespolitische Zwänge (Sorge um Bedarfszuweisungen des Landes).


Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Bürgermeistern und Gemeinderäten im Zusammenhang mit der Unterlassung der Ergreifung von Anträgen, Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen oder der Beiziehung eines juristisch geschulten Beraters [Rechtsbeistands] bei juristischer Unwissenheit des zur Schadensabwehr verpflichteten Gemeindeorgans:

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