Die Rechtsprechung zur Richtigkeit der Grundbuchseintragungen im historischen Grundbuch

A. Gemeindegut und Gemeindevermögen

Der Terminus Gemeindegut stammt aus der Tiroler Gemeindeordnung (TGO). Erstmals wurde im provisorischen Gemeindegesetz von 1849 eine Trennung zwischen Gemeinde­ver­mögen und Gemeindegut vollzogen, allerdings ohne eine Definition der beiden Begriffspaare zu liefern. Aus dem Gesetzestext wurde aber deutlich, dass sowohl das Gemeindegut als auch das Gemeindevermögen im Eigentum der jeweiligen Gemeinde, nicht aber der einzel­nen Ge­meindemitglieder stand.

Das Charakteristikum des Gemeindegutes war die Belastung von Gemeindegrund mit Nutzungsrechten von min­destens zwei Nutzungsberechtigten, während das Gemeindever­mögen unbelastet im Eigen­tum der Gemeinde stand. § 75 der Provisorischen Gemeindeord­nung legte fest, dass „kein berechtigtes Gemeindeglied aus dem Gemeindegute einen größe­ren Nutzen zu ziehen habe, als zur Deckung seines Bedarfs notwendig ist. Jede nach der Deckung des Bedarfs erübrigende Nutzung hat eine Rente für die Gemeinde Kasse zu bilden.“ (Kaiserliches Patent vom 17.3.1849, RGBl Nr. 170/1849 § 75). Das Gemeindegut sollte also neben den Inhabern der Stammsitzliegenschaften allen berechtigten Gemeindemitgliedern zugute­kommen. Die erste Tiroler Gemeindeordnung aus dem Jahr 1866 wiederholte die Bestim­mungen von 1849 (Siegl, Die Entstehung der Agrargemeinschaften in Tirol unter besonderer Berücksichtigung der Gemein­degutsagrargemeinschaften [2009], S. 225 (veröffentlicht im „Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes“ [2009], S. 218 – 240).

 

B. Eigentümerin des Gemeindegutes ist und war seit jeher die Gemeinde

  • Von bäuerlicher Seite, insbesondere auch von den Funktionären des Tiroler Bauernbunds, wird jedoch – meist wider besseres Wissen – immer wieder behauptet, das Gemeindegut sei seit jeher im Eigentum der Nutzungsberechtigten gestanden. Die als Eigentümerin eines mit Nutzungs­rechten bela­steten Grundstückes eingetragene Gemeinde sei nicht als politische Gemeinde, sondern viel­mehr als Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten anzusehen. Daher seien bei der Grund­buchsanlegung mit den Ausdrücken „Gemeinde“, „Ortschaft“, „Fraktion“, „Nach­bar­­schaft“ usw. in Wahrheit nur die Eigentümer der im betreffenden Gebiet gelegenen bäuer­lichen Betriebe gemeint gewesen.
  • Diese bloß standespolitisch motivierten Behauptungen stehen in diametralem Widerspruch zur Judikatur der österreichischen Höchstgerichte:

1. Schon in seinem Erkenntnis vom 11.11.1954, VwSlg 3560 A, qualifizierte der Verwaltungs­gerichtshof die oben angeführten Einwände als Versuch einer juristischen Konstruktion, die im Gesetz keinerlei Deckung finde, und sprach aus, dass

    • nach dem Sprachgebrauch der österrei­chischen Gesetzgebung unter dem Ausdruck Gemeinde grundsätzlich die politische Gemeinde zu verstehen sei;
    • der Begriff „Gemeindegut“ auch das ehemalige Fraktionsgut umfasse, dies auch bei noch ausstehender grundbücherlicher Durchführung des Eigentumsübergangs.
Dennoch führte die Tiroler Landesregierung in einer ihr vom Verfassungsgerichtshof abverlangten Stellungnahme Anfang der 1980er Jahre an:
,,Bei der Grundbuchsanlegung wurde einmal die Gemeinde, dann wieder eine Nach­barschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen. Es lag allein im Gutdünken des zuständigen Grundbuchsbeamten, welchen Ausdruck er verwendete. … In diesen Fällen ist die Gemeinde nicht als politische Gemeinde „Eigentümerin“, sondern sie ist als „Erbin“ der alten Realgemeinde anzusehen und damit nicht als Gebiets­körperschaft, sondern als Rechtsnachfolger der alten genossenschaftlichen organisierten Realgemeinde (heute als Agrargemeinschaft definiert).“
Dieser Rechtsauffassung stellte sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 1.3.1982, G 35/81 ua ( VfGH vom 01.03.1982, VfSlg 9336/1982), mit dem Hinweis, dass die zitierte Äußerung der Tiroler Landesregierung in der tatsächlichen Entwicklung des Gemein­derechts keine Stütze finde, entschieden entgegen.
Klarer kann man nicht sagen, dass die damals geäußerte Meinung der Tiroler Landesregierung juristisch nicht haltbar war. Diese entpuppte sich als Schutz­behauptung zur Rechtfertigung der eigenen rechtswidrigen Vorgangsweisen.

2. In seinem Erkenntnis vom 10.12.2010,  VfSlg 19.262/2010 (II.A.2.3.6. der Entscheidungsgründe) führte der Verfassungsgerichtshof aus:

,,Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechts­vor­schriften könnte das Eigentumsrecht der beschwerdeführenden Agrar­gemein­schaft nur durch eine denk­unmögliche Anwendung der gesetzlichen Vor­schriften ver­letzt worden sein. Wenn die Agrargemeinschaft die behördliche Fest­stellung bean­tragt, ob bestimmte Grundstücke solche im Sinne des Erk. VfSlg. 18.446/2008 sind, so kommt es in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung an, weil die dieses Erkenntnis tragenden verfassungs­rechtlichen Erwägungen die Über­tragung von Eigentum einer (politischen) Gemeinde auf eine Agrargemeinschaft durch den behördlichen Akt der Regulie­rung zum Ausgangspunkt haben. Dem trägt § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996 idF LGBl. 7/2010 insofern Rechnung, als dort der Ausdruck „vormals“ auf den Zeitpunkt vor der Regulierung bezogen wird (arg.: ‚vormals im Eigen­tum einer Gemeinde gestanden sind, durch Regulierungsplan ins Eigentum einer Agrargemeinschaft übertragen wurden‘).“

3. Durch die mit 1.12.1938 für das „Land Österreich“ in Kraft gesetzte Deutsche Gemeinde­ordnung (DGO) wurden „Ortschaften, Fraktionen und ähnliche innerhalb einer Gemeinde beste­hende Verbände, Körperschaften und Einrichtungen gemeinderechtlicher Art“ aufgelöst, und es wurde bestimmt, dass ihr Rechtsnachfolger die Gemeinde ist (vgl. VfGH in VfSlg 4229/ 1962 und 9336/1982 sowie VwGH vom 30.06.2011, GZ 2010/07/0074, und vom 24.05.2012, GZ 2011/07/0117). Diese Regelung wurde nach 1945 nicht wieder rückgängig gemacht. Demgemäß sind auch unter diesem Aspekt die politischen Gemeinden seit 1838 auch Eigentümer des Fraktionsgutes ( VfGH vom 01.03.1982, VfSlg 9336/1982).

Damit ist klargestellt, dass der Begriff “Gemeindegut“ auch das ehemalige Fraktionsgut umfasst, und zwar auch dann, wenn die grundbücherliche Durchführung des Eigentumsüber­gangs noch ausstehen sollte (vgl Kienberger, Das Gemeindegut als Verfassungsproblem [LexisNexis 2018], S 17). 

Weiterführende Info:

 

C. Grundbuchstand und Gemeindegutseigenschaft

Aus der Judikatur des VfGH ergibt sich, dass für die Gemeindegutseigenschaft von Grund­stücken allein der Grundbuchstand zum Zeitpunkt der „Regulierung“ maßgeblich ist (VfSlg 19.018/2010 und 19.262/2010; vgl Kienberger „Das Gemeindegut als Verfas­sungs­problem [LexisNexis 2018], S 32/33).

Die Gemeindegutseigenschaft hängt daher nicht davon ab, ob die Agrarbehörde im Zuge eines Regulierungsverfahrens die Gemeindegutseigenschaft ausdrücklich mit Bescheid fest­gestellt oder sich mit der Feststellung begnügt hat, dass es sich bei den betreffenden Grund­stücken um (nicht näher spezifizierte) agrargemeinschaftliche Grundstücke handelt. Ein sol­cher Bescheid hat nur deklarative, nicht jedoch konstitutive Wirkung (VfSlg 19.262/2010; so auch der VwGH [VwSlg 18.424 A/2012]). Das Fehlen einer derartigen ausdrücklichen Feststellung hatte demnach keineswegs den Untergang der Gemeindegutseigenschaft zur Folge. Andererseits bedeutete das Vorliegen eines solchen Bescheides nur, dass die Gemeindegutseigenschaft rechtskräftig und somit verbindlich festgestellt ist (Kienberger wie vor).

Zitat aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, VfSlg 19.320/2011 vom 28.02.2011  (III.2.1.2. der Entscheidungsgründe):

,,Die Rechtsansicht der beschwerdeführenden Agrargemeinschaft, die Anwen­dung der Bestimmungen des TFLG 1996 idF LGBl. 7/2010 über die „Gemeinde­guts­agra­rge­mein­schaft“ setze die bescheidförmige Feststellung des Vorliegens atypischen Gemeinde­gutes voraus, trifft nicht zu: Das Gesetz sieht eine bescheidförmige Feststel­lung, ob ein Grundstück ein agrargemeinschaftliches Grundstück – hier eines gemäß § 33 Abs 2 lit c Z 2 TFLG 1996 idF LGBl. 7/2010 – ist, nur für den Zweifelsfall vor (vgl. § 33 Abs 6 Satz 1 TFLG 1996). Die Anwendbarkeit der Regelungen über die „Gemeindeguts­agrar­ge­mein­schaft“ hängt aber allein vom Vorliegen der im Gesetz umschriebenen Voraus­setzungen ab. Ein Feststellungsbescheid nach § 33 Abs 6 1. Satz 1 TFLG 1996 hätte nicht konstitutive, sondern lediglich deklarative Wirkung.“

Anmerkung:
In der Rechtsprache bedeutet „konstitutive Wirkung“ rechtsbegründende bzw. rechtserzeugende Wirkung, während ein Bescheid mit „deklarativer [auch: deklaratorischer] Wirkung“  nur rechtsbekundend ist und bloß die Auffassung des Entschediungsverfassers wiedergibt. 
 
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Gemeindeland in Gemeindehand: überparteilicher und unabhängiger Verein – ZVR-Zahl 1505804346

Redaktion: Dipl.-Ing. Leonhard Steiger, Forstwirt & Dr. Werner Lux, Jurist


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Sehr geehrter Herr/Frau _______,

Der überparteiliche Verein „Gemeindeland in Gemeindehand“ hat die Homepage www.agrarpapers.tirol erstellt, auf der zeitlich geordnet der „größte Kriminalfall Tirols“ (Zitat Georg Willi, Bürgermeister von Innsbruck) dokumentiert ist. Es handelt sich um großflächige verfassungswidrige Eigentumsübertragungen von öffentlichem Eigentum (Gemeindeeigentum) hin zu Agrargemeinschaften. Die eingehenden Recherchen, die sich auf umfangreiche Grundbuchserhebungen des Tiroler Gemeindeverbandes und höchstgerichtliche Erkenntnisse stützen, zeigen grobe Fehlleistungen der Tiroler Agrarpolitik und der Tiroler Agrarbehörde auf und dokumentieren erstmals die erschreckende Dimension der damit einhergegangenen Gemeindeenteignungen.

Eine verfassungskonforme Reparatur dieses untragbaren und gleichheitswidrigen Zustandes ist jederzeit durch ein vom Tiroler Landtag zu beschließendes „Rückübertragungsgesetz“ möglich.

Diese Initiative muss unterstützt werden! Man wird wohl von verantwortungsbewussten Politikern erwarten können, dass sie den derzeit bestehenden verfassungswidrigen Zustand beenden.

Rechtstaatlichkeit und Gleichheit vor dem Gesetz geht und alle an! Helfen auch Sie im Rahmen Ihrer beruflichen Möglichkeiten, die in der Homepage www.agrarpapers.tirol formulierten Forderungen zu unterstützen, um diesen beschämenden verfassungswidrigen Zustand zu beenden.

Mit vorzüglicher Hochachtung,